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Starke Denkmäler, starke Communitys

Gedenken an Phan Văn Toàn  

Gedenkinitiative Phan Văn Toàn Am 31. Januar 1997 wurde Phan Văn Toàn Opfer einer rassistischen  Gewalttat am S‑Bahnhof Fredersdorf. Drei Monate später starb er an den direkten Folgen dieses Angriffs. Die Gedenkinitiative Phan Văn Toàn setzt sich seit 2020 für ein würdiges Gedenken an Phan Văn Toàn und für eine politische Einordnung der rassistischen Tötung in damalige und aktuelle Verhältnisse ein. Eine der ersten Intentionen der Gedenkinitiative war es, Phan Văn Toàn in Fredersdorf, einer kleinen Gemeinde in der Nähe von Berlin, und darüber hinaus nicht in Vergessenheit geraten zu lassen. Die erste Gedenkkundgebung fand am 31. Januar 2021 in Fredersdorf statt. Sie wurde organisiert von der VVN-BdA Märkisch-Oderland und der BOrG. Die VVN-BdA ist die Vereinigung der Verfolgten des Naziregimes Bund der Antifaschist*innen und die BOrG ist die Abkürzung für Beratungsgruppe für Opfer rechter Gewalt, eine ehrenamtliche Beratungsgruppe in Märkisch-Oderland. Die BOrG recherchierte 2020 zu Todesopfern rechter Gewalt im Landkreis. Dabei fiel ihnen auf, dass es kein öffentliches Gedenken an Phan Văn Toàn gab. Nach dieser ersten Gedenkkundgebung gründete sich unsere Gedenkinitiative, um ausführlicher und auch communitybezogener an Phan Văn Toàn zu erinnern. Zuerst bestand die Initiative aus lokalen Aktivist*innen. Wenig später wurde korientation, eine post-migrantische Selbstorganisation und Netzwerk

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Warum ein Name nicht nur ein Name ist

Ein Gastbeitrag von Clara Westendorff – Vorstand von Straßenlärm Berlin e.V. „Was interessiert es mich, nach wem meine Straße benannt ist?“, wurde ich letztens gefragt. Das Gemeine an der Frage ist, dass man schlecht eine Person davon überzeugen kann, sich gefälligst für etwas zu interessieren. Es stimmt ja auch: Niemand ist dazu verpflichtet, sich mit Stadtgeschichte auseinanderzusetzen. Für viele Personen ist ein Straßenname nur ein Eigenname ohne Kontext und Person dahinter. Es ist schon erschreckend, wie wenig Gedanken sich ein Großteil unserer Gesellschaft über Straßennamen macht – schließlich navigieren wir mit ihnen jeden Tag durch den Stadtraum und sie erzählen uns (beinahe) alles, was wir über die herrschende Geschichtserzählung zu wissen brauchen. Dass den meisten Menschen nicht klar ist, was sie mit ihren Straßennamen anfangen sollen, zeigt vielleicht auch, wie wenig persönlicher Bezug existiert. Ich frage mich, ob das Absicht ist, dass die Erinnerungskultur so unemotional ist – sollen Straßennamen und Denkmäler keine Emotionen wecken?  Gleichzeitig gibt es Menschen, die wütend über bestimmte Straßennamen sind. Ihnen jedoch werden immer wieder ihre Emotionen abgesprochen. Es heißt dann: „Es ist doch nur ein Name, sei doch nicht so aufgebracht. Das ist nun mal unsere Geschichte“. Solche Aussagen verkennen die gesellschaftliche und historische

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Sieben erinnerungspolitische Lehren

Ein Gastbeitrag von Tessa Hofmann Berlin ist eine Stadt der vielfältigen Erinnerungen. Wie alle Metropolen zog sie Menschen unterschiedlicher Kulturen, Sprachen und Glaubensrichtungen an. Die preußischen Könige förderten insbesondere den Zuzug verfolgter Protestanten aus Böhmen und Frankreich, auch in der Hoffnung auf vermehrte Steuerzahler. Der Französische Dom am Gendarmenmarkt und Rixdorf im heute überwiegend muslimischen Neukölln erinnern an die evangelische Zuwanderung.  Wenn Menschen verfolgt und vertrieben werden, flüchten sie oft nur mit ihrem Erinnerungsgepäck. Dies kann zur schweren Last werden, insbesondere, falls sie unsichtbar bleiben muss. Verfolgte und Flüchtlinge, insbesondere aber Überlebende von Völkermord besitzen aber das Bedürfnis, die oft ahnungslose Mehrheitsgesellschaft ihrer Zufluchtsländer mit diesem Gepäck zu konfrontieren, es sichtbar, teilbar und mittragbar zu machen. Lehre Nummer Eins: Dabei stoßen sie auf die Erfahrung, dass es stets die unbeteiligte Mehrheit einer Gesellschaft ist, die bestimmt, was kollektiv erinnert wird und was nicht. Als 1998 der Bremer Genozidwissenschaftler Gunnar Heinsohn versuchte, über den damaligen Staatssekretär für Kultur eine deutsche „Anerkennung“ des osmanischen Genozids zu erreichen, wurde ihm mitgeteilt, dass Deutschland dafür nicht zuständig sei: Der Genozid an etwa drei Millionen orientalischen Christen sei nicht auf deutschem Staatsgebiet erfolgt. Folglich habe Deutschland diesbezüglich keine Verpflichtungen. Für alle, die an entsprechenden Gedenkorten,

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Wer darf erinnern – in einer Migrationsgesellschaft? 

Ein Gastbeitrag von Bahar Sanli In einer Migrationsgesellschaft wie der unseren ist die Frage, wer erinnern darf, von zentraler Bedeutung, weil die Antwort einem Bekenntnis gleichkommt. Denn in einer Migrationsgesellschaft kann es nicht die eine Erzählung geben, weil die Menschen ihre vielfältigen Geschichten und Erinnerungen über Grenzen hinweg mit sich tragen. In der Migration werden über diese Narrationen Erinnerungsgemeinschaften gebildet, in denen andere historische Konnotationen von Bedeutung sind als die der Mehrheitsgesellschaft.¹ Diese Geschichten, insbesondere jene von kollektiver Gewalt- und Unrechtserfahrung, finden oft erst im Kontext der Migration einen sicheren Raum, wo sie ohne Verfolgung oder Repressalien ausgesprochen werden können.²  Dies ermöglicht betroffenen Gemeinschaften, vom Schweigen zum Handeln zu kommen. Der öffentliche Raum nimmt dabei eine bedeutende Rolle ein: Die Anerkennung und Sichtbarmachung kollektiver Gewalt- und Unrechtserfahrung im öffentlichen Raum sind Schritte zur Ermächtigung und ein wesentlicher Teil der Traumaarbeit. Sie bieten die Möglichkeit, die Deutungshoheit über die eigene Geschichte zurückzuerlangen. In diesen Zusammenhang sollten z.B. auch der BVV-Beschluss zur Errichtung eines Denkmals in Kreuzberg in Gedenken an die alevitisch-kurdischen Opfer des Massakers von Dersim 1937 und 1938 oder die Errichtung einer ökumenischen Gedenkstätte für Genozidopfer im spätosmanischen Reich³ auf dem Luisenkirchhof III in Charlottenburg gesehen werden. In unseren vielfältigen,

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Gespräch mit Phổ Đà Pagode 

Die Phổ Đà Pagode ist eine vietnamesisch-buddhistische Pagode auf dem Gelände des Pacific Großhandel Centers in Lichtenberg. Sie besteht seit 2006 und zählt etwa 200 Mitglieder. Ihr Erhalt war seit 2019 bedroht, als das Bauamt Lichtenberg einen nicht genehmigten Anbau bemerkte. Als Argumente gegen eine nachträgliche Genehmigung wurden u. a. angeführt, dass Buddhismus als Religion keinen besonderen Rechtsschutz in Deutschland genieße, sowie dass ein religiöses Gebäude nicht in einem Gewerbegebiet stehen könne.  KV:      Wir möchten euch Fragen: Was ist der Stand bezüglich des Erhalts eurer Pagode und was sind die Schwierigkeiten? Was für Aktivitäten führt ihr hier durch?  Thầy Pháp Nhẫn (Übersetzung Thu Anh):      Erstmal möchte ich euch danken für eure Aufmerksamkeit und für euren Kampf für die Diversität und Gleichberechtigung in Deutschland. Das zeigt, dass hier in Deutschland alles möglich ist, finde ich. Auch, dass die Menschen hier mit Menschlichkeit, Herzlichkeit für ihre Mitmenschen sehr viel aufarbeiten. Und im buddhistischen Sinn oder in der Lehre ist auch die Liebe sehr wichtig und die kann ich bei eurer Arbeit spüren.  Uns fehlte das juristische Wissen damals, dass wir nicht einfach ausbauen dürfen. Und erst als wir das Anschreiben von dem Bezirk bekommen haben, haben wir gemerkt:

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Interview mit Nure Alkış

KV:      Kannst du dich kurz vorstellen? Nure:      Ich heiße Nure Alkış. Ich lebe seit Ende der 90er Jahre in Berlin, Deutschland. Ich bin Mutter von fünf Kindern, die sind inzwischen alle groß, und Oma von 9 Enkelkindern. Seit 11-12 Jahren bin ich aktiv für Frauenrechte, Menschenrechte und für Menschen, die unterdrückt sind. KV:      Bei welcher Organisation bist du aktiv? Wofür setzt du dich in deinem Aktivismus ein? Nure:      Wir sind Eziden oder das ezidische Volk. Wir wohnen jetzt seit Jahren größtenteils in Deutschland. Wir stammen von einem Volk ab, welches wirklich 74 Genozide erlebt hat, also wirklich 74 Mal sollte das ezidische Volk vernichtet werden, aber dagegen hat das ezidische Volk natürlich Widerstand geleistet. 74 Widerstände gab es vom ezidischen Volk, besonders von ezidischen Frauen. Wir haben im Januar 2014 unseren Verein gegründet. Damals war das der Frauenrat-Berivan. Dann haben wir allerdings beschlossen, dass es nicht nur einen Rat geben soll, sondern, dass wir uns mehr organisieren müssen. Noch bevor wir den Frauenrat-Berivan gegründet haben, hatten wir hier in Berlin bereits ein Komitee bestehend aus fünf Personen. Dieses bestand aus vier Ezidinnen und noch eine Alevitin hat uns damals unterstützt. Aber 2015,

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Interview mit Kemal Karabulut

KV:      Magst du dich kurz selber vorstellen? Kemal:      Mein Name ist Kemal Karabulut. Ich wurde im Jahr 1960 im Dersim-Gebiet geboren. Dersim ist ein Gebiet in Anatolien, welches jetzt die sogenannten Türkei ist. Ich bin während meiner Kindheit mit den Erzählungen von meinen Großeltern und Eltern über die Massaker, die in den Jahren 1937/38 in unserem Gebiet verübt worden sind, aufgewachsen. Bis zu meinem zwölften Lebensjahr habe ich in meinem Geburtsort gelebt. Aus wirtschaftlichen Gründen ist meine Familie dann nach Adana umgezogen. Adana ist eine Industriestadt in der Südtürkei und dort habe ich die Mittelschule besucht und weiterhin in Dersim mein Abitur gemacht. Seit 1977 bin ich in Deutschland. Ich bin als Student hierhergekommen und seit ich hier bin, setze ich mich für Menschenrechte und Demokratie ein. Seit Ende der 80er, Anfang der 90er Jahre, haben wir in Europa zum ersten Mal eine Kulturgemeinde, die den Dersim-Namen trägt, gegründet. Der Dersim-Name ist wegen diesem geschichtlichen Massaker vom türkischen Staat verboten worden. Wir haben Glück gehabt, dass dieser Name in Deutschland anerkannt wurde und wir uns Dersim Kultur Gemeinde Berlin e.V nennen konnten. 1993 haben wir diese Kultur Gemeinde gegründet; damals war ich Gründungsvorsitzender. Seitdem bin ich

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Interview mit Marianne Ballé Moudoumbou

KV:      Kannst du dich kurz vorstellen? Marianne:      Marianne Ballé Moudoumbou ist mein Name. „Moudoumbou“ bedeutet „der Mund“ in der Doualasprache. Ich bin in der panafrikanischen Frauenorganisation „PAWLO-Masoso“ als eine der Bundessprecherinnen tätig. PAWLO wurde 1994 in Kampala in Uganda gegründet. Wir sind eine panafrikanische Frauenorganisation, das heißt, uns geht es um eine Solidaritätsbewegung aller Menschen mit afrikanischen Vorfahren und besonders von Frauen. Ich bin auch stellvertretende Vorsitzenden des Zentralrats der afrikanischen Gemeinde in Deutschland – Gemeinde ist hier konfessionsfrei gemeint. Das ist auch eine Solidaritätsbewegung bzw. ein Verband der Afrikaner*innen hier in Deutschland. Ich bin auch tätig in der Bundeskonferenz der Migrantenorganisationen, unter anderem im Vertreter*innenrat, in VENRO, eine entwicklungspolitische Vereinigung, im Landesnetzwerk hier in Brandenburg und auch im BBT, im Bundeselternnetzwerk der Migrantenorganisation für Bildung und Teilhabe, und ich lehre an der Universität der Künste in Berlin und an der Alice-Salomon-Hochschule. KV:      Kannst du als Bundessprecherin von PAWLO von euren Aktivitäten und Zielen erzählen? Marianne:      In der pan-afrikanischen Frauenorganisation PAWLO-Masoso haben wir ein Projekt, das Vitamin P heißt. Dabei geht es darum, Kinder, Jugendliche, insbesondere in der Übergangsphase, zwischen Zuhause und Kita, Kita und Schule, Schule und weiterführende Schule, beziehungsweise Ausbildung

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Interview mit Israel Kaunatjike

KV:      Kannst du dich kurz vorstellen? Israel: Ich heiße Israel Kaunatjike. Ich komme ursprünglich aus Namibia, ehemaliges Deutsch-Südwestafrika. Ich habe damals mein Land verlassen, mit 17 Jahren, und bin einer Volksbewegung Namibias beigetreten, um gegen das Apartheidsystem zu kämpfen. Ich bin in verschiedenen Ländern gewesen, aber heute lebe ich seit vielen Jahren in Deutschland. Ich bin Herero-Aktivist. Ich kämpfe für Wiedergutmachung, für Reparationen und für eine Entschuldigung. Ich kämpfe dafür, dass Deutschland sich entschuldigt für den Genozid damals in Deutsch-Südwestafrika, von 1904-1908.  KV:      Wie heißt die Organisation, in der du aktiv bist? Israel:      Ich bin im Bündnis „Völkermord verjährt nicht!“. Das ist eine Organisation, die mit anderen Aktivist*innen hier für Reparationen und für die Anerkennung des Völkermordes an den Hereros und Namas kämpft. Es ist eine Organisation die hier in Deutschland agiert. Ich arbeite auch mit vielen anderen Organisationen, wie Berlin Postkolonial e.V., der Initiative Schwarze Menschen in Deutschland und weiteren NGOs in Deutschland. KV:      Zwischen der deutschen Regierung und der namibischen Regierung gibt es Verhandlungen bzw. den Entwurf einer gemeinsamen Erklärung und eines Abkommens. Dagegen haben die Oppositionsparteien und die Vertreter*innen der Herero geklagt. Kannst du kurz erklären, warum? Israel:   

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Zwei Redebeiträge von In Memory, In Resistance Interview mit Israel Kaunatjike

Statement-Rede – In Memory, In Resistance 2024 Atlanta, 16. März 2021. Berlin, 16. März 2024. Drei Jahre später und wir sind heute wieder hier, wieder an der Friedensstatue, wieder um den Ermordeten von Atlanta zu gedenken. Wieder jähren sich die rassistischen und sexistischen Anschläge an 6 asiatischen Frauen. 8 Menschenleben von einem Moment zum nächsten brutal beendet. Wieder gedenken wir: Delaina Ashley Yaun, Paul Andre Michels, Xiaojie Tan, Daoyou Feng, Hyun Jung Kim Grant, Suncha Kim, Soon Chung Park, Yong Ae Yue. Wir gedenken ihnen, aus Trauer, aus Wut, aus Ungeduld, aus Schmerz, aus Liebe. Wir gedenken aus Notwendigkeit. Wir gedenken, um nicht zu vergessen. Um zu erinnern an Arbeiterinnen, Heilerinnen, Mütter, Schwestern, Tanten, Pflegerinnen, die den größten Teil ihres Lebens damit verbrachten, für wenig Geld zu arbeiten und in Einsamkeit zu leben, wobei sie mit ihren Familien in der Heimat hauptsächlich durch Überweisungen, kurze Telefonanrufe und Chat-Nachrichten verbunden waren. Ozeane lagen zwischen ihnen und ihrem zu Hause. Welten lagen zwischen ihrer Realität und ihren Träumen, wofür sie ihre Heimat verließen.  Als asiatische Migrantinnen aus der Arbeiterklasse wurden sie zu Bürgerinnen zweiter Klasse gemacht, objektiviert und in einer weißen Vorherrschaftsgesellschaft ausgebeutet. Xiaojie Tan, Daoyou Feng, Hyun Jung Kim Grant, Suncha Kim, Soon Chung Park und

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