2015 wurde ein Abkommen zwischen der südkoreanischen und japanischen Regierung geschlossen, in dem verkündet wurde, dass die „Trostfrauen“-Frage endgültig geklärt sei. Im Januar 2016 wurde ein weiteres Abkommen über den Austausch von militärischen Geheimnissen zwischen Japan und Südkorea geschlossen. Als der südkoreanische Präsident Moon Jae-In nach dem Regierungswechsel 2018 das Abkommen von 2015 auflösen wollte, gab es große Kritik aus den USA, da eine Destabilisierung der Beziehungen zwischen Japan und Südkorea Auswirkungen auf die geopolitischen Machtverhältnisse in der Region, insbesondere in Bezug auf China und Nordkorea, haben könne. Aus Platzgründen veröffentlichen wir eine gekürzte Version von Seungju Lees Beitrag, um aufzuzeigen, wie die „Trostfrauen“-Frage in den USA in Bezug auf geopolitische Interessen betrachtet wird.
Die Rote Angst und die „Trostfrauen“ – Frage in den USA
Seungju Lee
Koloniales Erbe und mediale Voreingenommenheit
Dieser Beitrag basiert auf einem Essay, den ich im Jahr 2020 im Rahmen meines Masterstudiums eingereicht habe. Er analysiert, wie die Berichterstattung der New York Times (NYT) 1996-2019 das Deutungsmuster der Bedrohung verwendet, um die Themen „Nordkorea“ und „Trostfrauen“ im Kontext der Beziehungen zwischen den USA, Südkorea und Japan gegeneinander auszuspielen und die „kommunistische Bedrohung“ zu priorisieren.
Das Hauptaugenmerk dieses Aufsatzes liegt auf der Erörterung bestimmter Faktoren in der Berichterstattung der NYT, die die Lösung des sogenannten „Trostfrauen-Problems“ behindern. Die Erkenntnisse dieses Aufsatzes sind nicht neu und auch nicht überraschend für diejenigen, die direkt oder indirekt von den Kriegsverbrechen und damit oft verbundenen Heuchelei des sogenannten „Westens,“ insbesondere in den Medien, betroffen gewesen sind. Mit dem Begriff „Westen“ meine ich den „historischen und geographischen Raum, der die Vereinigten Staaten von Amerika und Europa einschließt, aber auch Japan als „honorary whites“ (geopolitisch den weißen westlichen Staaten als ebenbürtig anerkannter Staat).1
Hauptsächlich habe ich hier die Beiträge in New York Times untersucht und festgestellt, dass selbst eine Zeitung, die oft als „progressiv“ eingeordnet wird, eine Hierarchie aufstellt und die „Trostfrauen“-Frage als zweitranging gegenüber der Bedrohung des Westens durch China und Russland betrachtet.
Antikommunismus und das Problem der „Trostfrauen“
Bei der Analyse habe ich mich auf den Anti-Kommunismus in der Berichterstattung konzentriert. Um eine überschaubare Anzahl von Artikeln für die Analyse zu sammeln, habe ich nach Artikeln der New York Times gesucht, die sowohl „Südkorea“ als auch „Japan“ in ihrem Titel erwähnten. Dafür habe ich folgende Google-Suchanfrage verwendet: allintitle: ‚Südkorea‘ ‚Japan‘ site:nytimes.com. Der Suchzeitraum erstreckte sich vom 22. Januar 1996, als die New York Times erstmals online erschien, bis zum 31. Dezember 2019.
In diesem Zeitraum erschienen insgesamt 31 Artikel mit diesen Parametern. Die nachstehende Tabelle, in der die Anzahl der Artikel nach Jahren zusammengefasst ist, zeigt einen allmählichen Anstieg der Erwähnungen nach dem „Trostfrauen“-Abkommen zwischen Japan und Südkorea im Jahr 2015 und einen starken Anstieg in den Jahren 2018 und 2019. Von den 31 Artikeln erwähnten 17 das Thema der „Trostfrauen“. Ein Journalist, vermutlich koreanischer Abstammung, Choe Sang-hun, hat besonders viele Artikel der New York Times über die koreanisch-japanischen Beziehungen und das Thema der „Trostfrauen“ verfasst.
Choe hat 10 von 17 Artikeln zu diesem Thema geschrieben, was 59 % der Berichterstattung ausmacht. Sieben davon waren alleinige Beiträge und drei wurden in Co-Autorenschaft verfasst. Insgesamt hat er an 18 der 31 Artikel mitgewirkt, was etwa 58 % der Gesamtzahl entspricht, wobei es sich bei 13 Artikeln um Einzelbeiträge handelte.
Über die „Bedrohung“ durch Nordkorea nachdenken
Von 1996 bis 2019 wurde Nordkorea in 24 von 31 Artikeln, die Südkorea und Japan im Titel enthielten, erwähnt. Das sind 77,4 % aller Artikel. Besonders viele Artikel erschienen, als der ehemalige südkoreanische Präsident Moon Jae-in am 28. Dezember 2017 erklärte, dass er das 2015 unterzeichnete Abkommen über die „Trostfrauen“-Frage aufkündigen werde. Nordkorea als Bedrohung wurde in 17 der 24 Artikel erwähnt, was 89,5 % entspricht. Darüber hinaus wird auch in 13 der 17 Artikel, die sich mit dem Thema der vom japanischen Militär zur Sexsklaverei gezwungenen „Trostfrauen“ befassen, Nordkorea als Bedrohung genannt.
„Während Nordkorea Probleme schafft, arbeiten wir für den Frieden“
Schauen wir uns nun einige Artikel als Beispiele2 an, in denen Nordkorea und China als Bedrohung dargestellt werden, während die USA als vermeintliche Lenker des Friedens in Asien dargestellt werden. Die Darstellungen in den Artikeln suggerieren, dass die Opfer des „Trostfrauen-“Systems keine Aufmerksamkeit verdient haben bzw. geopolitische Prozesse stören. Ihre Existenz und ihre laute Forderung nach Gerechtigkeit untergrabe die „amerikanischen Bemühungen“ um Frieden und Stabilität in der Region, auf die sich der Reporter der New York Times oft positiv bezieht. Die amerikanische Anstrengung würde erst dann Früchte tragen, wenn die Opfer nicht mehr da seien oder einfach still seien. Die USA und Südkorea sollen sich „auf die Opfer der feindlichen Mächte konzentrieren und die Opfer der Freunde vergessen“,3 sodass der Fokus rein auf Nordkorea (und China und Russland) als Feind gelegt wird.
Im Folgenden führe ich einige Zitate an, die diese Dynamik verdeutlichen:
„Die USA haben Japan und Südkorea wiederholt dazu gedrängt, den Streit [um die „Trostfrauen“] beizulegen, der ein Stolperstein in den amerikanischen Bemühungen ist, eine gemeinsame Front mit ihren asiatischen Verbündeten zu stärken, um Chinas wachsendem Selbstbewusstsein in der Region sowie Nordkoreas Versuch, ein Atomwaffenarsenal aufzubauen, entgegenzutreten.“ (2015, Dec 28, Choe Sang-Hun)4
„Die Aufkündigung dieses Abkommens wäre das bisher deutlichste Zeichen dafür, dass der schwelende Streit [um die „Trostfrauen“] die Bemühungen der Vereinigten Staaten um den Ausbau einer Sicherheitspartnerschaft mit Südkorea und Japan untergräbt.“ (2019 Aug 1, Ben Dooley und Choe Sang-Hun)5
„Wie das Scheitern des Abkommens über den Austausch militärischer Geheimdienstinformationen war auch das Scheitern der Zusammenarbeit zwischen Südkorea und Japan bei der Abwehr russischer und chinesischer Flugzeuge ein neuer Beweis dafür, dass ihre historischen Streitigkeiten die Bemühungen Washingtons um den Aufbau einer engeren trilateralen Sicherheitspartnerschaft gegen Nordkorea, China und Russland untergraben.“ (2019 Aug 25, Chae)6
„Das Ende 2016 unterzeichnete Abkommen über den Austausch nachrichtendienstlicher Erkenntnisse zwischen Südkorea und Japan wurde im Rahmen eines umfassenderen amerikanischen Bestrebens geschlossen, um sicherzustellen, dass die drei Länder schneller und effizienter auf Bedrohungen durch Nordkorea, China und Russland reagieren können.“ (2019 Aug 22, Choe Sang-Hun, Motoko Rich und Edward Wong)7
Anhand der Zitate kann man feststellen, wie konsequent die Idee der Bedrohung verwendet wurde, um Nordkorea über drei Jahre hinweg als gemeinsamen Feind darzustellen und wie das umstrittene Abkommen zwischen Japan und Korea zur „Trostfrauen“-Frage vom 28.12.2015 und seine Auflösung im Interesse der Überlebenden unter der Regierung von Moon Jae-In in Frage gestellt wurden. Es wird deutlich, dass die „Trostfrauen“-Frage (und damit die Erfahrungen und Kämpfe der Überlebenden) an sich keine Rolle spielt, sondern lediglich als Teil größerer diplomatischer und geopolitischer Strategien angesehen wird.
Statt also als progressives und unabhängiges Medium aufzutreten, macht sich die NYT eher mit einem antikommunistischen Vermächtnis des Westens gemein, als für die Rechte marginalisierter Frauen und kolonialisierter Subjekte insgesamt einzutreten.
1)Chomsky, N. (2015). Pirates and Emperors, Old and New: International Terrorism in the Real World. Chicago: Haymarket Books. S. 4.
2)Alle Übersetzungen durch den Autor und die Redaktion der Publikation.
3)Herman, E., & Chomsky, N. (1988). Manufacturing consent: the political economy of the mass media. New York: Pantheon Books. S. 31-23.
4)Choe, S, H. (2015). Japan and South Korea Settle Dispute Over Wartime ‘Comfort Women. The New York Times. 28. Dezember. [Eingesehen am 03.08.2024]. https://www.nytimes.com/2015/12/29/world/asia/comfort-women-south-korea-japan.html.
5)Choe, S, H and Dooley Ben. (2019). Japan Imposes Broad New Trade Restrictions on South Korea. The New York Times. 01. August. [Eingesehen am 03.08.2024]. https://www.nytimes.com/2019/08/01/business/japan-south-korea-trade.html?smid=url-share.
6)Choe, S, H. (2019). South Korea Launches Military Exercise for Islets Also Claimed by Japan. The New York Times. 25. August. [Eingesehen am 03.08.2024]. https://www.nytimes.com/2019/08/25/world/asia/south-korea-japan-islands.html.
7)Choe, S.H, Rich, M, and Wong, E. (2019). South Korea Says It Will End Intelligence-Sharing Deal With Japan, Adding to Tensions. The New York Times. 22. August. [Eingesehen am 03.08.2024]. https://www.nytimes.com/2019/08/22/world/asia/south-korea-japan-intelligence.html.