© Uli Kretschmer
Die Phổ Đà Pagode ist eine vietnamesisch-buddhistische Pagode auf dem Gelände des Pacific Großhandel Centers in Lichtenberg. Sie besteht seit 2006 und zählt etwa 200 Mitglieder. Ihr Erhalt war seit 2019 bedroht, als das Bauamt Lichtenberg einen nicht genehmigten Anbau bemerkte. Als Argumente gegen eine nachträgliche Genehmigung wurden u. a. angeführt, dass Buddhismus als Religion keinen besonderen Rechtsschutz in Deutschland genieße, sowie dass ein religiöses Gebäude nicht in einem Gewerbegebiet stehen könne.
KV: Wir möchten euch Fragen: Was ist der Stand bezüglich des Erhalts eurer Pagode und was sind die Schwierigkeiten? Was für Aktivitäten führt ihr hier durch?
Thầy Pháp Nhẫn (Übersetzung Thu Anh): Erstmal möchte ich euch danken für eure Aufmerksamkeit und für euren Kampf für die Diversität und Gleichberechtigung in Deutschland. Das zeigt, dass hier in Deutschland alles möglich ist, finde ich. Auch, dass die Menschen hier mit Menschlichkeit, Herzlichkeit für ihre Mitmenschen sehr viel aufarbeiten. Und im buddhistischen Sinn oder in der Lehre ist auch die Liebe sehr wichtig und die kann ich bei eurer Arbeit spüren.
Uns fehlte das juristische Wissen damals, dass wir nicht einfach ausbauen dürfen. Und erst als wir das Anschreiben von dem Bezirk bekommen haben, haben wir gemerkt: „Okay, das war von unserer Seite noch nicht richtig“. In dem Schreiben hieß es, dass wir hier keine religiösen Aktivitäten ausüben dürfen, weil das Grundstück zu einem Gewerbegebiet gehört. Wir haben zwar auch unter der Woche von 8:00 bis 17:00 Uhr geöffnet, aber alle arbeiten, und deswegen kommen fast niemand dann hierher. Es ist eher am Sonntag von 10:00 bis 13:30 Uhr, dass Menschen kommen, um hier zusammen zu essen, zu beten, zu lernen. Uns ist bewusst, dass am Sonntag eigentlich hier in Deutschland Ruhetag ist. Und wir möchten auch nicht irgendwie die Nachbarschaft oder Menschen stören. Aber da hier ein Gewerbegebiet ist, stört es eigentlich keine*n hier in der Umgebung.
Wir haben alles versucht, um die Anforderungen von der Stadt Berlin oder von dem Bezirk zu erfüllen. Aber trotzdem haben wir die Absage bekommen. Die letzte offizielle Absage ist dann noch mal vor etwa acht Wochen gekommen. Auf unsere Rückmeldung hat das Bezirksamt noch nicht reagiert.
2006 haben wir uns gegründet. 2012 haben wir angefangen mit dem Ausbau. Und seit fast 20 Jahren sind wir hier in Berlin und erst seit sieben, acht Jahren gibt es diesen Konflikt mit dem Bezirk. Wir möchten gerne die Genehmigung für die Renovierung bekommen. Aber auch die Genehmigung, dass wir hier bleiben dürfen. Wenn wir umziehen, also außerhalb von Berlin, dann verfremdet sich die Community. Es geht nicht nur um den Platz hier, sondern es geht um die Community: Die Gläubigen, die hierher kommen, sind eher ältere Generationen. Senioren und so, die jüngeren kommen eher selten, denn aktuell in ihrer Lebensphase haben sie noch nicht so viel Aufmerksamkeit für Religion oder Buddhismus, aber später werden sie uns auf jeden Fall auch brauchen.
Es gibt im Jahr drei größere Feste. Einmal das Tết-Fest, ähnlich wie in Korea, das Neujahrsfest im Mondkalender. Und es gibt das Phật Đản-Fest. Da geht es darum, Dankbarkeit im Buddhismus zu feiern. Und dann gibt es das Vu Lan-Fest. Da geht es um unsere Eltern, die uns zur Welt gebracht haben. Die feiern wir gemeinsam.
Wie ihr beim Korea Verband aufgestanden seid, möchten wir hier auch aufstehen und hart kämpfen, um hier weiter bleiben zu dürfen. Es geht nicht nur um Glaube. Es geht hier auch um Liebe und um unsere Herzen und wie wir in der Community miteinander umgehen. Wir wollen einen Raum für unsere Gemeinschaft haben. Und euch möchten wir gerne Unterstützung geben, damit wir gemeinsam hier in Berlin existieren können und Raum für unsere Communitys schaffen können und unseren Herzen und Sorgen einen Platz geben können.
Max: Ich bin ungefähr vor vier Jahren hierher gekommen und ich wurde gefragt, ob ich helfen kann. Von Anfang an wurde uns von einem Experten gesagt, dass die Pagode hier bleiben kann. Das liegt in dem Ermessen der Leute, die in der Behörde arbeiten. Dass die Pagode aus rechtlicher Perspektive hier bleiben darf, sagen uns seit vier Jahren Anwält*innen und Expert*innen mit denen wir sprechen, und seit vier Jahren sagen aber die Leute, die im Bauamt arbeiten „nein“. Erst sagen sie „Nein, das hier ist keine Religion“. Dann sagen sie „okay, hier ist Religion, aber wir wollen euch nicht hier haben“. Es werden immer neue Gründe gefunden dafür, dass die Pagode hier nicht bleiben darf.
Thầy Pháp Nhẫn (Übersetzung Thu Anh): Alle sechs Monate gibt es Briefe vom Bezirk. Und seit dem 2. Dezember 2022 gibt es eine offizielle Absage. Und dort stand, dass wir auf jeden Fall umziehen müssen.
KV: Sie können sich also nicht auf Ihre Arbeit konzentrieren und hier für die Community da zu sein, weil Sie mit diesem Brief von einem Bezirksamt beschäftigt sind.
Thầy Pháp Nhẫn (Übersetzung Thu Anh): Nicht nur ich bin traurig, sondern auch die Gläubigen, die hier herkommen. Die fühlen sich unsicher mit dem Ganzen, denn sie wissen gar nicht, was passieren wird und ob dieser Ort irgendwann plötzlich nicht mehr da ist.
Max: Alle sechs Monate haben wir meistens Post bekommen und dann sind wir meistens auf die Presse zugegangen. Marina Mai von der taz hat dann vor allen Dingen geholfen. Einige der Zeitungsartikel sind etwas diffus oder schwer verständlich, weil die Situation selbst unverständlich ist. Keiner von uns versteht eigentlich wirklich, was das Problem ist. Aber der Kontakt mit Journalist*innen war das einzige, was akut bei der Erhaltung der Pagode gewirkt hat. Es brauchte jedes Mal viel Aufmerksamkeit, damit dann die Pagode für ein halbes Jahr wieder Ruhe hat. Und das ist für thầy anstrengend und alle Leute hier anstrengend. Dass man sich nicht konzentrieren kann auf das eigentliche Leben, was hier angesprochen wurde, was wichtig ist.
Thầy Pháp Nhẫn (Übersetzung Thu Anh): Ich war vor vier Jahren mit Max persönlich im Bezirksamt und wir haben auch gefragt, ob das Bezirksamt uns unterstützen kann, einen anderen Ort in Berlin zu finden, um dorthin umzuziehen. Und sie meinten, dass sie uns nicht helfen können. Für die ältere Generation ist die Pagode aber sehr wichtig. Und auch für vietnamesische Geflüchtete, zum Beispiel aus der Ukraine. Es braucht nicht nur die Unterstützung durch vietnamesische Vereine, sondern Menschen suchen auch religiöse Unterstützung, um sich kurz anzulehnen. Es geht hier nicht nur um die Community, sondern auch um religiöse Arbeit.
KV: Aber warum solltet ihr hier weggehen? Dieser Ort ist wunderschön eingerichtet über Jahre, auch der Garten, und niemand wird gestört.
Max: Ich möchte noch etwas hinzufügen: Letztes Jahr wurde hier in dieser Pagode ein Tatort gedreht, der im vietnamesischen Berlin spielt. Es wird auch gezeigt, wie wichtig es für die vietnamesische Gemeinde ist, diesen Ort zu haben. Und auch die Geschichte der Pagode wird in diesem Tatort thematisiert. Am Ende des Tatorts darf die Pagode aber bleiben. In der Realität wurde unser Bauantrag wieder abgelehnt. Wir möchten jetzt aber auch nochmal die Politiker*innen einladen, sich den Film anzuschauen und mit den Leuten hier zu reden. Also ich habe diesen Ort noch nicht aufgegeben, auch weil es jetzt im Bezirksamt einen Wechsel gab. Mit den Neuwahlen im März oder so was und sich da wieder was bewegt.
KV: Vielleicht können noch andere von euch erzählen, was dieser Ort für euch bedeutet oder wie ihr ihn gefunden habt.
Cô Phương (Übersetzung Thu Anh): Ich habe 30 Jahre in der Ukraine gelebt. Und nur wegen des Krieges musste ich hierher fliehen. Ich bin neu in Deutschland und ich hatte wirklich das große Glück, diesen Ort zu finden. Es ist der erste Ort, an dem ich hier in Deutschland meinen Frieden gefunden habe. Ich habe hier gute Erfahrungen mit den Menschen der buddhistischen Gemeinschaft gemacht. Die Menschen, die hierherkommen, die haben wirklich das Gute in ihrem Herz und möchten dieses Gefühl, diesen Frieden an andere weitergeben. Dieser Ort ist aus meiner Sicht ein heiliger Ort: Hier haben wir zusammen gelernt und wir lernen auch, einander zu vergeben und uns selbst zu vergeben. Hier haben wir Respekt für einander, für einen selbst und für das Gute in dieser Gesellschaft.
Die Geschichte von der Phổ Đà Pagode dauert schon fast 20 Jahre an. Die Gläubigen, aber auch die nicht-Gläubigen, sollten ein sicheres Gefühl haben. Und wir werden für Phổ Đà kämpfen.
Cô Lê (Übersetzung Thu Anh): Ich heiße Lê Schreiber und bin auch Gläubige hier in Berlin, in der Chùa Phổ Đà und seit 13 Jahren lebe ich in Berlin. Davor habe ich in Halle gewohnt. Ich habe gemerkt, dass mit der Zeit unsere Gemeinde hier gewachsen ist. Und die Gemeinschaft hat den Raum nicht nur genutzt, um einen Tag im Jahr hierher zu kommen, sondern wir haben hier wirklich auch Geld und Energie reininvestiert. Die Lage passt der Community sehr gut, weil die meisten ehemaligen Vertragsarbeitenden hier in dem Bezirk oder in der Nähe wohnen. In nur 15 bis 20 Minuten ist dieser Ort zu erreichen. Auch wir Frauen kommen hier oft zusammen und erfahren Zusammenhalt. Wir planen Veranstaltungen oder irgendwelche Aktivitäten zusammen. Wenn ich nicht herkomme, dann vermisse ich die Stimmung hier. Hier habe ich so viel gelernt über Ethik, wie man sich in der Gesellschaft orientiert und miteinander umgeht, wie man Vertrauen in sich selbst und andere hat.
Die Miete ist so günstig und die Nebenkosten sind auch niedrig. Es gibt keinen Schaden, den wir hier irgendwie anrichten. Warum dürfen wir hier nicht bleiben? Wenn wir umziehen, kostet das sehr viel Geld und Energie und es ist nicht mehr so leicht für die Community, den Ort zu erreichen. Das Einkaufzentrum und die Pagode schaden einander nicht, ganz im Gegenteil.
Alles was hier entstanden ist und alles, was wir hier sehen, war nicht umsonst. Wir haben hier sehr viel gebaut, zum Beispiel im Garten. Wir pflegen und machen hier alles selber. Mehrere hunderttausend haben wir bestimmt schon investiert. Viele von uns sind aus der älteren Generation. Wenn wir umziehen müssen, kostet das sehr viel. Aber wir haben mittlerweile keine Einkommensquellen mehr, um das Bauen weiterhin finanziell zu unterstützen. Aber wenn wir hier bleiben, schaden wir niemandem und stören niemanden.
Und wenn wir woanders bauen oder woanders hinziehen, dann müssen wir damit rechnen, dass der Ort nicht in der Nähe oder Nachbarschaft mit Buddhisten ist und wir irgendwie sehr fremd wären. Dann würde es vielleicht zu Beschwerden aus der Nachbarschaft kommen und wir würden nicht akzeptiert werden.
Bác Ly (Übersetzung Thu Anh): Guten Tag zusammen. Ich heiße Nguyễn Văn Ly. Ich bin 70 Jahre alt und lebe seit 45 Jahren hier in Deutschland. Früher habe ich als Vertragsarbeiter gearbeitet. Seit dem Ruhestand habe ich endlich Zeit, hierher zu kommen, um mich weiterzubilden und über moralische Werte zu lernen. Für mich hat Buddhismus eine heilige Bedeutung. Wir haben hier gelernt, wie wir mit anderen Menschen umgehen können und welche Ziele wir im Leben auch noch haben nach den vielen Jahren, in denen wir gearbeitet haben. Wenn wir Schwierigkeiten haben, kommen wir auch hierher, um sie einander mitzuteilen. Am Wochenende verbringen wir hier Zeit. Wir möchten wirklich, dass wir einmal in der Woche hierherkommen dürfen, um den Rest der Zeit in diesem Leben miteinander zu verbringen. Hier wird uns auch geholfen, Beziehungen zu den nächsten Generationen zu pflegen. Es ist das Wichtigste für Leute in meinem Alter, dass wir hierherkommen dürfen. Wir hoffen sehr, dass die Politik und auch andere Communities das sehen. Wir brauchen diesen Ort, diese Gelegenheit, diese Bedingungen, um den Rest unseres Lebens so zu gestalten, wie wir es möchten.
Hier in der Nähe gibt es eine große vietnamesische Community. Die brauchen wir für die buddhistischen Veranstaltungen hier vor Ort. Es macht wenig Sinn, einmal im Jahr irgendwohin außerhalb Berlins zu fahren. Stellt euch vor, das würde auch mit der Friedenstatue passieren. Was ist, wenn der Bezirk sagt, dass wir die Friedensstatue behalten dürfen, aber sie außerhalb von Berlin platzieren müssen? Warum bauen wir dann eine Statue und lassen sie an einem fremden Ort stehen, wenn Menschen nicht mal dahin gehen können? Es geht um einen sozialen Raum und um den öffentlichen Raum.
Max: Und es geht ja nicht nur um die Lebenden, ähnlich wie bei euch. Es geht auch um die Toten, die hier einen Ort haben. Das ist, glaube ich auch noch mal wichtig, das hervorzuheben. Und ich möchte noch hinzufügen: Ich kann und will nicht für diese Gemeinschaft reden. Ich hatte das große Glück, dass zum Beispiel auch bác Ly in letzter Zeit viele Interviews gegeben hat. Und ich bin froh, dass ihr jemanden organisiert habt, der heute übersetzen kann. Dadurch konnte endlich thầy auch am Gespräch vernünftig teilnehmen. Seit Jahren hat er wahrscheinlich auch all seine Sachen im Kopf und kann die auch mal loswerden. Wir brauchen das noch viel mehr gemacht, dass Leute selber ihre Geschichten erzählen.
Thầy Pháp Nhẫn (Übersetzung Thu Anh): Danke euch allen. An Nataly, dass du hierhergekommen bist und dir Zeit genommen hast, die Geschichte zu hören und uns Vorschläge zu machen. Danke Max, dass du in der letzten Zeit bei uns geblieben bist und nicht aufgegeben hast. Und danke Linh, dass du auch heute hier bist. Für mich ist das ein Signal, dass ich weitermachen kann. Der Kampf ist, wie Nataly gesagt hat: Er dauert, aber er lohnt sich. Und ich hoffe, dass wir zusammen bleiben können und vielleicht zusammen auch noch konkretere Ideen weiter entwickeln. Ich möchte euch gerne unterstützen, sofern es in meiner Kraft liegt. Und ich wünsche euch allen ganz viel Frieden und einen reibungslosen Ablauf in der Arbeit. Ich hoffe, dass wir dann weiterhin im Kontakt bleiben.
© Uli Kretschmer
Dieses Gespräch wurde im März 2024 geführt. Anfang Mai wurde der erwähnte Tatort „Am Tag der wandernden Seelen“ im Fernsehen ausgestrahlt. Bei einer Vorführung des Filmes mit vietnamesischen Untertiteln in Berlin-Marzahn verkündeten Lichtenbergs Bezirksbürgermeister Martin Schaefer (CDU) und der Stadtrat Kevin Hönicke (SPD), dass der Verbleib der Phổ Đà Pagode an ihrem Standort gesichert sei.
Der unermüdliche Einsatz und die Solidarität innerhalb der Gemeinschaft, die zahlreiche Menschen zum Kampf für den Standorterhalt einlud, waren entscheidend für den positiven Ausgang des Kampfes. Letztendlich war es auch der politische Wechsel im Bezirk und der Dreh des Tatorts in der Pagode, der viele Türen öffnete. Der Gedanke, dass die Pagode im Film bestehen konnte, aber im echten Leben hätte schließen müssen, wäre schlechte PR für den Bezirk gewesen und hat sicherlich dazu beigetragen, dass die Pagode erhalten bleibt.
© Uli Kretschmer