Die Berliner Friedensstatue „Ari“, deren Name auf Armenisch „Die Mutige“ bedeutet, wurde am 28. September von der AG „Trostfrauen“ als Ergebnis von jahrzehntelangem Engagement für die Aufklärung der Geschichte der „Trostfrauen“ in Berlin-Moabit aufgestellt. Ebenso lange wie sie an der Ecke Birkenstr./Bremer Str. steht, ist sie auch schon in ihrem Bestehen bedroht. Das Bezirksamt, der ehemalige Bezirksbürgermeister Stephan von Dassel und die jetzige Bezirksbürgermeisterin Stefanie Remlinger (beide B90/Die Grünen), die Fraktionen der CDU, FDP und AfD der BVV Berlin-Mitte und der Regierende Bürgermeister von Berlin, Kai Wegner (CDU), sprechen sich für ihre Entfernung aus. Dies geschieht mutmaßlich als Reaktion auf den massiven Druck, der durch die japanische Regierung auf die Politik ausgeübt wird, doch hängt sicherlich auch mit einer mangelnden Anerkennung und Wertschätzung für das jahrzehntelange Engagement und die Arbeit von der AG „Trostfrauen“, dem Korea Verband, der japanischen Fraueninitiative und all ihren Verbündeten zusammen.
Alle Politiker*innen betonen, wie wichtig es sei, an sexualisierte Gewalt in Konflikten und in unserer Gesellschaft zu erinnern. Viele bedanken sich dafür, dass die Friedensstatue das Thema „auf die Agenda“ gebracht hat. Doch betonen sie immer wieder sehr deutlich: Die Friedensstatue sei nicht das richtige Denkmal für dieses Thema. Es brauche ein „universelles“ Denkmal, ein „echtes“ Denkmal. Nur durch eine Ausschreibung und ein Wettbewerb könne ein dauerhaftes Denkmal für die Opfer von sexualisierter Gewalt in Berlin realisiert werden. Es könne nicht einfach jeder ein Denkmal aufstellen. Und ein temporär aufgestelltes Kunstwerk wie die Friedensstatue könne rechtlich nicht in ein dauerhaftes Mahnmal umgewandelt werden. Und Kai Wegner fordert sogar das Ende der „einseitigen Darstellung“. Was die Politiker*innen zum Ausdruck bringen ist: Die Friedensstatue ist ihnen lästig und sie wissen besser als ihre Bürger*innen, die Zivilgesellschaft und insbesondere die Betroffenen, wie an sexualisierte Gewalt erinnert werden sollte.
Dass die Friedensstatue nicht „universell“ sei, verstehen wir als rassistischen Angriff auf den Platz von allen migrantischen Menschen und BIPoCs in diesem Land. Und warum sollten Politiker*innen, die sich vorher noch nie zu sexualisierter Gewalt und kolonialer Unterdrückung geäußert haben, wissen, wie ein angemessenes Denkmal auszusehen hat? Warum möchten sie einen Gedenkort zerstören, der bereits besteht und Bedeutung für etliche Menschen in Berlin, in Deutschland und auf der ganzen Welt angenommen hat?
Die Friedensstatue „Ari“ ist nicht irgendein Kunstwerk. Sie ist dazu geeignet, um das Thema der sexualisierten Gewalt sowie dessen Verknüpfungen mit Rassismus und Kolonialismus greifbar und erinnerbar zu machen.
Sie ist das Ergebnis von jahrzehntelangem Kampf – in Korea, im Asien-Pazifik-Raum und weltweit. Die Friedensstatue trägt die Geschichte von Frauen in sich, die sich über ihr Erlebtes äußerten und damit auch Raum schufen für alle anderen Betroffenen von sexualisierter Gewalt. Sie machten und machen anderen Mut. Diese Geschichte und das Community-Building, auf denen aufgebaut werden kann, unterscheiden sie von einem angestrebten neuen allgemeinen Denkmal, dass die Bezirksbürgermeisterin und der Regierende Bürgermeister versprechen.
Ein derart schwieriges und tabuisiertes Thema wie sexualisiert Gewalt kann nur unglaublich schwer in Form gebracht werden und es kann sich ihm auch nur sehr schwer angenähert werden. Doch in der Friedensstatue haben sich die Erinnerungen vieler Betroffenen verdichtet: Wie sie sich als Mädchen und junge Frauen gefühlt haben und später als betagte Frauen auf jeder Mittwochsdemonstration in Seoul und bei Reisen weltweit ihre Stimme erhoben haben. Zur 1000. Mittwochsdemonstration, bei denen die Überlebenden und ihre Verbündeten wöchentlich für Gerechtigkeit demonstrieren, wurde die Statue aufgestellt. Sie steht damit auch für das Gefühl von Gemeinschaft und Solidarität – nicht mehr in Ohnmacht und Isolation zu leben, sondern den Heilungsprozess zusammen mit anderen Menschen anzustoßen. Das Subjekt der Friedensstatue ist nicht das Verbrechen, das „Trostfrauen“ erfahren mussten. Das Subjekt der Friedensstatue ist der Mut und das widerständige Weiterleben der Betroffenen, die sich für eine gerechtere Welt einsetzen.
Emotion, Empathie und Empowerment: Die Friedensstatue ist insbesondere für Jugendliche ein lebendiger Erinnerungs- und Lernort geworden. Durch sie können schwierige Themen pädagogisch behutsam und nahbar behandelt werden.
Ari sitzt auf gleicher Augenhöhe wie die Betrachtenden und viele der in ihr verarbeiteten Symboliken sind für jede*n leicht zugänglich. Ari ist nahbar. Kinder und Jugendliche können bei der Interaktion mit der Friedensstatue ihre Berührungsängste mit dem schweren Thema sexualisierte Gewalt leichter verlieren, da sie mit Ari auf Augenhöhe interagieren und sie berühren können. Die realistische Darstellung als Mädchen und auch metaphorische Elemente fördern die Identifikation mit dem Thema und mit den Überlebenden. Dies spiegeln Jugendliche und Erwachsene, die Ari besuchen, immer an unsere Workshopleiter*innen wider.
Durch die besondere Technik der Lasur wirken ihr Gesicht und die Hände besonders glatt, während ihre Kleider grob und rau erscheinen. Die Jugendlichen identifizieren sich sehr schnell mit der Figur und empfinden starke Empathie mit ihr. Sie sagen, dass sie so schön ist, dass ihre Haut so glatt ist! Gerade, dass die Figur in Mädchengestalt trotz ihres Leides ihre Willensstärke zeigt und eine Art trotzige Unversehrtheit ausstrahlt, wirkt auf Jugendliche empowernd. Denn Ari ballt die Fäuste und hat eine starke Haltung. Wenn sich die Betrachtenden auf den freien Stuhl neben Ari setzen, entsteht ein Gefühl der Verbundenheit und des Empowerments. Auch die starke und kalte Materialität der Bronze gibt den Jugendlichen den Halt und die Zuversicht.
Die Friedensstatue ist ein unabdinglicher Teil der Bildungsarbeit im „Museum der Trostfrauen“ (MuT), das der Korea Verband seit 2019 in seinen Räumen nahe der Friedensstatue stetig erweitert. Wir leisten wertvolle Aufklärungs- und Bildungsarbeit zum Thema sexualisierte Gewalt in Kooperation mit verschiedenen Jugendorganisationen und Schulen.
Ari ist ein Teil der Stadt: Anwohner*innen lieben und pflegen die Statue und haben bereits eine Beziehung zu ihr aufgebaut. Verschiedene Organisationen und Gruppen kommen an der Statue zusammen und machen sie zu einem lebendigen Erinnerungsort.
Regelmäßig liegen frische Blumen zu Füßen der Friedensstaute, sie wird mit Schals, Ketten, Büchern, Bonbons beschenkt. Wenn wir an der Statue fegen, bedanken sich Menschen bei uns, dass wir Ari pflegen. Im Zuge unserer Unterschriftensammlungen hatten wir unzählige Begegnungen mit verschiedensten Menschen, jeden Tag. Alle brachten zum Ausdruck, dass die Statue zur Nachbarschaft dazu gehöre und dass sie nicht nachvollziehen könnten, warum man sie entfernen wolle. Viele Menschen können eigene Geschichten über ihre Begegnungen an der Friedensstatue erzählen.
Doch nicht nur für die unmittelbaren Nachbar*innen hat die Friedensstatue eine Bedeutung: Auch verschiedene Gruppen wie die Omas gegen Rechts nutzen sie als Versammlungs- und Erinnerungsort. Menschen aus verschiedenen asiatisch-diasporischen Communitys kommen jährlich an der Statue zusammen, um gegen anti-asiatischen Rassismus zu demonstrieren und die Opfer von Rassismus zu erinnern. Und viele migrantische Frauenorganisationen beteiligen sich an den Aktionen, etwa zum Internationalen Tag zur Beseitigung von sexualisierter Gewalt in Konflikten, wie etwa die japanische Fraueninitiative, der Ezidische Frauenrat, DestDan (Kurdischer Frauenrat), Women in Exile, International Women Space, Gabriela, DarSudan, Tigray Feminists, PAWLO und mehr. Sie alle können sich mit der Friedensstatue identifizieren und sehen in ihr ihre eigenen Kämpfe.
Sogar Menschen aus anderen Städten und anderen Ländern kommen zu Ari, da sie von Aris Geschichte gehört haben oder mehr erfahren möchten. Insbesondere junge Schüler*innen und Studierende suchen immer wieder das Gespräch mit uns.
Die Friedensstatue ist in diese Stadt integriert und ein bedeutsamer Erinnerungsort für unzählige Menschen.
Die Friedensstatue fördert eine intersektionale Perspektive auf verschiedene Unterdrückungsstrukturen. Gleichzeitig ist sie auch ein Anstoß, die konkrete Vergangenheit von Deutschland aufzuarbeiten.
Die Friedensstatue mahnt, sexualisierte Gewalt in Konflikten zu erkennen und zu verhindern. Die Gewalt, an die sie erinnert, passierte im japanischen Imperialismus und Kolonialismus. Ari ist daher auch eins der wenigen Denkmäler in Deutschland, dass in einem postkolonialen Kontext entstanden ist und koloniale Verbrechen direkt adressiert – aus der Perspektive von jungen Frauen und Mädchen. Viele der Betroffenen kamen aus ärmlichen Verhältnissen und wurden so leichter Opfer des Systems. Es liegt also eine Verschränkung von verschiedenen Unterdrückungsmechanismen vor, die anhand der Friedensstatue erzählt und erläutert werden können.
Gleichzeitig ist Ari auch ein Ort, an dem an Rassismus erinnert wird. Jährlich gibt es eine Gedenkveranstaltung für die Opfer der rassistischen Morde von Atlanta. Zu diesem Anlass werden auch die rassistischen Morde und Gewalt gegen asiatische Menschen in Deutschland erinnert. Die Friedensstatue eignet sich dafür als Ort, da sie zum einen ein Ort ist, an dem sich asiatische Communitys in Berlin gesehen und repräsentiert fühlen, und zum anderen, weil die Friedensstatue die intersektionalen Verschränkungen von Sexismus, Patriarchat, Kapitalismus und Kolonialismus deutlich macht, die alle Bestandteil des Rassismus sind, den asiatische Menschen in Deutschland und darüber hinaus erleben.
Die Auseinandersetzung mit japanischem Militarismus und dem Kontext des Zweiten Weltkrieges fordert die Betrachtenden zudem heraus, sich über die deutsche Geschichte zur gleichen Zeit Gedanken zu machen. Die sexualisierte Gewalt, die auch während des deutschen Kolonialismus und des Nationalsozialismus (und der DDR-Diktatur) stattfand und gezielt eingesetzt wurde, wird noch immer nur langsam aufgearbeitet. Durch die Verknüpfungen zwischen Deutschland und Japan als Achsenmächte sowie die Parallelen zwischen dem „Trostfrauen“-System und KZ- und Wehrmachtsbordellen können durch die Friedensstatue auch Formen organisierter sexualisierter Gewalt in der deutschen Geschichte adressiert werden.
Ari ist ein Beispiel dafür, wie Erinnerung in der Migrationsgesellschaft aussieht. Seit mehr als 30 Jahren setzen sich Aktivist*innen der japanischen und koreanischen Communitys in Deutschland für Gerechtigkeit für die „Trostfrauen“ ein. Noch länger sind sie auch an anderen politischen Kämpfen beteiligt. Ihre Geschichte ist deutsche Geschichte.
Die erste Generation der koreanischen Migrant*innen, die als Krankenschwestern in den 1960er und 1970er Jahre in die BRD angeworben wurden, sammelten 1977 und 1978 tausende von Unterschriften, um die eigene Abschiebung zu verhindern, und waren letztendlich damit erfolgreich. Gestärkt durch diese erfolgreiche politische Partizipationserfahrung organisierten sich koreanische Menschen in Deutschland und leisteten zusammen mit Kirchen, Gewerkschaften, Menschen- und Frauenrechtsorganisationen solidarische Arbeit für die Demokratisierungsbewegung und gegen die Militärdiktatur in Südkorea. Seit sie Anfang der 1990er-Jahre das erste Mal von den „Trostfrauen“ erfuhren, betreiben sie politische Aufklärungsarbeit gegen sexualisierte Gewalt. Die Friedensstatue repräsentiert auch ihr politisches Engagement in diesem Land. Für die älteren Aktivist*innen, die heute um die 80 Jahre alt sind, ist der Gedanke, Ari zu verlieren, zutiefst traurig und verletzend. Für jüngere migrantische Menschen ist die Friedensstatue längst zu einem wichtigen empowernden Ort geworden, an dem sie sich repräsentiert fühlen. Wenn die Friedensstatue entfernt wird, dann verlieren die Aktivist*innen ein Stück hart erkämpfte politische Heimat.
Die Friedensstatue ist einer von sehr wenigen Erinnerungsorten, der auch mitgebrachter Geschichte gedenkt. Wenn wir Deutschland aufrichtig als Migrationsgesellschaft verstehen, dann muss auch mitgebrachte Geschichte in das öffentliche Erinnern und den öffentlichen Raum eingebracht werden können. Ari steht gerade auch für das schöne daran: Durch Ari können wir voneinander über unseren verschiedenen Geschichten lernen, uns über sie verbinden, und gemeinsam für eine gerechtere Welt einstehen.
Ari ist nicht irgendein Kunstwerk, das entfernt und ersetzt werden kann. Ari ist auf vielen Ebenen für verschiedene Menschen wichtig. Ari ist entstanden aus den Geschichten der „Trostfrauen“ und Aris Bedeutung wächst mit allen Begegnungen immer weiter an.